Forschung

Ute Kalender © Aljoscha Weskott

Digitalpakt Schule, Digitalisierung der Arbeitswelten, der Lehre, der Unternehmen, der Kultur- und Kreativwirtschaft, des Kulturerbes, der Geisteswissenschaften, der Pflege. Digitalisierung der Verwaltung, der Viehwirtschaft, des Mittelstandes, der Immobilienwirtschaft. Digitales Gesundheitswesen, digitales Bild, digitaler Bach, digitaler Lehrer, digitale Führungsfrauen – der Ruf nach Digitalisierung ist allgegenwärtig.

Zugleich melden sich kritische Stimmen, die nach den Effekten für die Geschlechter und Marginalisierte fragen. Und die mein aktuelles Forschungsprojekt in den Mittelpunkt stellt: Wie erzählen, thematisieren, interpretieren und dramatisieren zeitgenössische feministische Digitalbewegungen Digitalität? Wie intervenieren, agieren und eignen sie sich digitale Medien an? Wie imaginieren sie zukünftige Geschlechtergerechtigkeiten in einer globalen digitalisierten Welt?

Diesen Fragen gehe ich in multi-perspektivischen Ethnografien von sozialen Digitalbewegungen sowie ihren kleinen und großen Aufstände nach. Ich exploriere sie in Interviews mit Aktivist_innen, Kolleg_innen, Künstler_innen und Freund_innen. Und ich führe Dokumentenanalysen von sozialen Medienprodukten, Talkshows, Statistiken, tagesmedialen Beiträge, Romanen und Filmen durch.

Das reichhaltige Material analysiere ich mit dem Datenverarbeitungsprogramm MAXQDA. Daraus generiere ich wiederum eigene soziologische, gendertheoretische, teilfiktionalisierte Narrative. Die methodische und methodologische Grundlage ist die poststrukturalistische Erweiterung der Grounded Theorie – die Situationsanalyse nach Adele Clarke und Carrie Friese[1], die ich während meines Fellowships am BIOS Centre der London School of Economics kennenlernen durfte. Teilergebnisse habe ich bereits zusammen mit Dr. Aljoscha Weskott in STS Conference Proceedings Graz 2019 publiziert. Eine Publikation für Feminist Theory ist in Vorbereitung. Ebenso ein zweites Buch.

Frühere Forschungen

Während mein aktuelles Forschungsprojekt ‚Little Data’-Verständnisse in feministischen sozialen Bewegungen untersucht, beschäftigte ich mich in früheren BMBF-Forschungsprojekten mit Big Data Verständnissen in großen Gesundheitsstudien. In umfassenden teilnehmenden Beobachtungen und Interviews untersuchte ich, wie genau digitale Daten und Big Data im Alltag entstehen. Ein Ergebnis war, dass für die Schaffung von Big Data emotionale Arbeit immense Bedeutung hat: Das freundliche Zulächeln, das leichte Berühren, Beruhigen, Beschwichtigen, aber auch das Auslassen von unangenehmen Messergebnissen sind die Bedingungen für digitale Daten. Sie bilden den Kitt zwischen Probandenkörper, Maschine und Messergebnis.

Meine diskursanalytische Dissertation nahm bioethische Diskurse rund um die Stammzellforschung in den Blick und entwickelte im Anschluss an die klinische Arbeit[2] den Begriff der Rohstoffarbeit. Rohstoffarbeit ist jene Körperarbeit von schwangeren Menschen, die zur Produktion von Forschungsentitäten wie Embryonen, Ei- und Stammzellen notwendig sind: Sich gut zu ernähren und zu Schlafen, Sport zu treiben, zur Klinik zu fahren, das gesamte Prozedere mit der Partnerin abzusprechen, belastende Hormonstimulationen und Vollnarkosen auf sich nehmen oder eine gute Work-Life-Balance einhalten.

[1] Clarke, Adele E./Friese, Carrie/Washburn, Rachel. 2018. Situational Analysis: Grounded Theory after the Interpretive Turn (2nd ed.). Thousand Oaks, CA: Sage.

[2] Cooper, Melinda/Waldby Catherine. 2010. From Reproductive Work to Regenerative Labour: The Female Body and the Stem Cell Industries. In Feminist Theory 11(3), 3-22.